#TalkMarTechToMe – Interview mit Alexander Ewig von AIDA
Wer sollte im Unternehmen den MarTech Stack verantworten? Welche Marketing-Technologie bietet den größten Impact?…
lles andere als eingefrorene Strukturen: Dr. Oetker gehörte schon immer zu den Vordenkern und Vorreitern für modernes Marketing. Vor über 130 Jahren hat das Unternehmen quasi Content-Marketing erfunden, als es 1891 Rezepte auf seine Backpulver-Tüten druckte. Diese Innovations-Tradition setzt Dr. Oetker bis heute fort: Vor über einem Jahr installierte das Unternehmen eine eigene MarTech-Unit als Bindeglied zwischen Marketing und IT – noch eine ziemliche Seltenheit in deutschen Konzernen.
So ist Maximilian Steudel einer der raren Experten im deutschsprachigen Raum, der auf Corporate-Seite bereits „MarTech“ im LinkedIn-Profil stehen hat. Konkret ist er „MarTech & Digital Engagement Lead“ bei Dr. Oetker in Bielefeld. Matchilla-Chef René Kühn konnte während des Studiums in seiner Wohnung auf dem Bielefelder Johannisberg „riechen“, wenn bei Oetker wieder etwas mit Vanille hergestellt wurde. Das Gespräch mit Maximilian war für ihn folglich eine Reise zurück in die Vergangenheit und zugleich eine in die Zukunft des Marketings. Beide unterhielten sich ausgiebig darüber, wie man MarTech in großen Unternehmen mit festen Strukturen etabliert, welche Aufgaben seine MarTech-Unit hat und wie sie bei der Auswahl neuer Technologien vorgehen.
René Kühn: Lieber Maximilian, du bist seit über einem Jahr bei Dr. Oetker für die MarTech-Themen zuständig. Fangen wir unser Gespräch doch direkt mit einem Fazit an: Kann ein Corporate in einem Jahr wirklich so disruptiv und lean sein, um das Thema MarTech intern zu etablieren?
Maximilian Steudel: Ganz klar, ja. Dafür bin ich aber nicht alleine verantwortlich. Die Oetker-Gruppe hat bereits vor mehreren Jahren erkannt, wie wichtig es ist, die digitale Transformation des Konzerns zu forcieren. Das zeigen unter anderem der Aufbau von Oetker Digital in Berlin oder die Akquise von Flaschenpost im Jahr 2020. Wir haben parallel unsere Organisationstruktur angepasst, um agiler zu sein, sind aber aktuell noch nicht so lean wie ein disruptives Start-Up. Das ist für mein Empfinden aber völlig in Ordnung. Transformation ist immer Change und das heißt, vorhandene Prozesse zu respektieren und alle relevanten Stakeholder auf der Reise zu begleiten. MarTech ist schließlich ein sehr erklärungsbedürftiges Betätigungsfeld.
René Kühn: Viele Corporates da draußen stehen gerade vor der Herausforderung, wie eine solche spezialisierte MarTech-Unit in die Strukturen des Unternehmens integriert werden kann. Ihr setzt das ja bereits praktisch um. Wie sieht denn euer Aufgabenbereich aus? An wen berichtet ihr? Und wer nutzt eure Kompetenzen?
Maximilian Steudel: Wir sind Teil des Marketing Excellence Bereichs im internationalen Marketing und berichten direkt an unseren Executive Manager. Wir arbeiten zudem sehr eng mit unserer CMO zusammen. Das MarTech-Team besteht aus fünf KollegInnen, ich sehe uns aber eher als eine große interdisziplinäre Initiative, bestehend aus Marketing, Tech, Data und externen Implementierungs-Partnern. Grundlegend entwickeln und implementieren wir unseren globalen B2C MarTech-Stack mit starkem Fokus auf den Bereich Digital Marketing Excellence in über 40 Landesgesellschaften.
René Kühn: Dann seid ihr sozusagen eine Service-Unit für alle anderen Bereiche? Schätze doch bitte einmal, wie viele eurer Ressourcen in die verschiedenen Aufgaben fließen?
Maximilian Steudel: Nein, ich sehe uns nicht als Service-Unit. Wir verstehen uns als Partner unserer über 40 lokalen Märkte mit dem klaren Auftrag, Dr. Oetkers digitale Transformation entscheidend strategisch und vor allem proaktiv mitzugestalten und dabei die Interessen aller anderen Bereiche zu berücksichtigen. Unsere Aufgabenverteilung variiert abhängig von den aktuellen Projekten, daher lässt sich die Aufteilung nach Ressourcen pauschal nicht beantworten.
René Kühn: Welche Skills sind aus deiner Sicht zum einen als MarTech-Lead und zum anderen für deine Teammitglieder erforderlich? Hast du persönlich schon immer eine Leidenschaft für Technologien?
Maximilian Steudel: Grundlegend sollten alle im Team ein sehr gutes Verständnis für digitales Marketing und verbundene Technologien mitbringen. Eine Spezialisierung in einem oder mehreren Themengebieten, wie Data Analytics, Performance Marketing oder Data Engineering, ist ebenfalls sinnvoll. Das stärkt unterschiedliche Perspektiven und hilft, den komplexen Herausforderungen im MarTech-Umfeld gerecht zu werden. Ich bin großer Fan von M-Shaped Multiskill-Profilen, die nach meiner Erfahrung eine hohe Bereitschaft mitbringen, crossfunktional zu denken. Das ist zwingend notwendig, da unsere Projekte in die gesamte Organisation wirken. Neben operativen Skills kommt es aber vor allem auf die richtige Einstellung an. Wir sind alle enorm technologiebegeistert und bringen sowohl ein ausgeprägtes Growth Mindset als auch eine hohe Affinität für Daten und Digitales mit.
Als Lead versuche ich immer mit gutem Beispiel voranzugehen und meine Tech-Leidenschaft, die sich in den letzten Jahren nach und nach entwickelt hat, auf andere zu übertragen. Während ich mir zunächst unter anderem als Freelancer mit UX und UI-Projekten mein Studium finanziert habe, konnte ich später viel hands-on Erfahrung in den Bereichen Performance-Marketing, Data, A/B-Testing, aber auch TV-Advertising in Agenturen und E-Commerce-Unternehmen sammeln. Das hilft mir heute sehr, weil ich dadurch ein sehr gutes Verständnis für das Zusammenspiel aus Business, Tech und Media habe.
René Kühn: Ein praktisches Beispiel aus eurem daily business – für eines der aktuell am meisten gefragten Systeme im Marketing: Ihr habt euch vor Kurzem für eine CDP entschieden. Kannst du uns kurz skizzieren, wie ihr den Anbieter-Auswahlprozess organisiert habt? Und: Wie habt ihr den Need nach einer neuen Plattform überhaupt ermittelt?
Maximilian Steudel: Ein System, das alle Kundendaten und -Interaktionen strukturiert erfasst, ist meiner Meinung nach für viele Unternehmen unserer Größe ein logischer erster Schritt. Fragmentierte Datenhaltung beeinträchtigt die Customer Experience und behindert datengetriebene Entscheidungsfindung – zwei Bausteine, die meiner Meinung nach elementar für zukunftsfähige Unternehmen sind. Die CDP ist nicht die einzige Technologie, die wir in diesem Kontext einführen, sie ist aber eine unserer Core Applikationen und nimmt damit in unserem MarTech-Zielbild eine wichtige Rolle ein.
Für solche zentralen Technologien ist es unbedingt notwendig, ein strukturiertes Assessment der Dienstleister vorzunehmen. Nicht zuletzt, weil unsere Planungen langfristig ausgerichtet sind und Entscheidungen in diesem Bereich nicht immer einfach korrigiert werden können. Dazu nutzen wir ein Vendor Scoring Sheet, in dem wir verschiedene Dimensionen erfassen, nach denen wir die Lösung des jeweiligen Dienstleisters bewerten. Wichtige Parameter können Kosten, Capabilities, Implementierungsaufwand oder Support sein, die wir je nach Priorität unterschiedlich gewichten. Die Bewertung nehmen wir unabhängig voneinander und gemeinsam mit ausgewählten Stakeholdern vor, um ein möglichst objektives Ergebnis zu erzielen. Am Ende entscheidet der höchste Wert.
René Kühn: Was war der größte Pain im Prozess? Oder kommt dieser jetzt noch mit der Implementierung der CDP?
Maximilian Steudel: Die größte Herausforderung ist sicher die initiale Implementierung der einzelnen Komponenten inklusive der Definition von Data Flows und eines übergreifenden Consumer Data Models unter Berücksichtigung von Datenschutzkonformität. Die Skalierung der Architektur in weitere Länder ist dagegen sehr gut planbar, auch wenn wir regelmäßig mit marktspezifischen Anforderungen konfrontiert sind.
René Kühn: Wenn die CDP oder eine andere Lösung implementiert ist: Wann und wie messt ihr, ob sich die Investition gelohnt hat?
Maximilian Steudel: Wir versuchen durchgehend die Performance unserer MarTech-Aktivitäten zu messen, auch wenn es häufig nicht einfach ist, den Erfolg nachvollziehbar zu quantifizieren. Im Normalfall starten wir mit einem Business Case, der auf einem MVP oder PoC basiert und sowohl reale Ergebnisse als auch weiterführende Hypothesen einbezieht, um das Investitionsrisiko zu minimieren. Die KPIs, nach denen wir Erfolg bewerten, definieren wir zu Beginn gemeinsam mit unserem Senior Management und dem Controlling. Das gegenseitige Commitment ist wichtig, um ein gemeinsames Ziel zu verfolgen. Letzteres ist stark abhängig von der jeweiligen Lösung und kann unterschiedliche Ausprägungen haben, wie ROI, Brand Lift oder auch eigene Micro-Conversions.
René Kühn: Wie oft stellt ihr euren MarTech Stack auf den Prüfstand? Was sind die Hauptgründe, eine Software auszutauschen oder zu ergänzen?
Maximilian Steudel: Sehr wichtiger Punkt. Die beschriebene kontinuierliche Bewertung hilft uns schnell zu erkennen, wenn Lösungen nicht wie geplant performen. Das kommt aufgrund der detaillierten Planung zu Beginn zwar sehr selten vor, kann aber passieren, insbesondere da wir als zentrales Team nicht alle lokalen Prozesse und Anforderungen jedes Landes im Detail kennen können. Typische Ursachen sind technische Einschränkungen oder mangelnde Datenqualität. Bisher bestand keine Notwendigkeit, Software aus unserem Stack zu tauschen, da wir die Herausforderungen immer gemeinsam lösen konnten. Dauerhaft verhindern lässt sich das allerdings nicht, dessen müssen wir uns bewusst sein.
Deutlicher häufiger kommt es vor, dass wir unseren Stack um neue Funktionen erweitern. Dabei helfen uns sowohl strukturierte Gap-Analysen als auch Impulse aus unseren Märkten, die in der Vergangenheit bereits lokale Technologien implementiert haben, um bestimmte Aufgaben zu lösen. Sind letztere auch für andere Länder attraktiv, integrieren wir diese in unseren Stack. Falls nicht, konsolidieren wir. Grundsätzlich gilt: Alles außerhalb unserer Core Applikationen ist verhandelbar, solange wir gemeinsam einen Wert für unseren MarTech-Stack erkennen.
René Kühn: Vor welchen Stolpersteinen kannst du warnen, wenn eine MarTech-Unit installiert werden soll? Was würdet ihr heute anders machen?
Maximilian Steudel: MarTech ist sehr erklärungsbedürftig. Es reicht also nicht, nur Organisationsstrukturen zu verändern. Vielmehr geht es um die Formulierung einer langfristigen Strategie, die alle Beteiligten miteinbezieht. Dabei müssen wir als MarTech-Unit akzeptieren, dass Veränderungen Zeit benötigen, da Unternehmen nur begrenzte Aufnahmekapazitäten für neue Prozesse besitzen (siehe Scott Brinkers Martec’s Law). Für uns bedeutet das, dass wir genau abwägen müssen, welche Technologien wir priorisieren und wie wir unsere Märkte dazu befähigen, diese gewinnbringend einzusetzen. Das ist uns in der Vergangenheit sehr gut gelungen, auch wenn wir nicht alles von Beginn an vollintegriert gedacht haben. Was ich in den letzten zwei Jahren gelernt habe, ist, dass der Erfolg einer MarTech-Unit nicht ausschließlich auf operativen Fähigkeiten oder monetären Return beruht, sondern insbesondere auf dem Talent, die richtigen Technologien zu identifizieren und das Unternehmen für deren Einführung und Nutzung zu begeistern.
René Kühn: Angenommen, dass sich nächstes Jahr eine Künstliche Intelligenz bei Dr. Oetker etabliert. Welches Produkt kreiert sie – oder anders gefragt: Kann die Fischstäbchen-Pizza getoppt werden? Schickt sie das neue Produkt durch die gesammelten Daten der CDP direkt an die Endkonsumenten?
Maximilian Steudel: Sehr gute Idee! Ist notiert. Co-Creation und Personalisierung sind beides super spannende Themen. Vielleicht etablieren wir ja bald eine AI, die dir im Abo automatisch neue Pizzen sendet, sobald dein Gefrierschrank leer ist und über andere Lebensmittel in deinem Kühlschrank lernt, welche Zutaten du besonders magst. Sehe schon die Schokopizza 2.0 kommen.
René Kühn: Maximilian, herzlichen Dank für die vielen Einblicke. Wir werden beobachten, wie viele deutsche Corporates eurem Beispiel einer MarTech-Unit folgen werden – wenn das ähnlich wie beim Content-Marketing läuft…
Dann vernetze dich hier mit ihm auf LinkedIn. Ansonsten hast du am 13. und 14. Juni die Möglichkeit, Maximilian live auf der CMCX 2023 in Köln zu erleben. Dort wird er als Speaker neben weiteren Marketingexpert:innen von E.ON, der Deutschen Telekom und HRS auftreten und spannende Insights aus dem Marketing bei Dr. Oetker preisgeben.
Maximilian ist MarTech und Digital Engagement Lead im Bereich international Marketing Excellence bei Dr. Oetker, einem der führenden Nahrungsmittelproduzenten Europas. Gemeinsam mit seinem Team verantwortet er die globale MarTech-Infrastruktur in über 40 Ländern und implementiert Lösungen, die die digitale Transformation des Konzerns entscheidend mitgestalten.
Bevor Maximilian zu Dr. Oetker kam, war er für verschiedene innovative Unternehmen im E-Commerce tätig. Mit Triple A Internetshops führte er mehrere Plattformen in die Top 100 der erfolgreichsten Online-Shops und bei GastroHero half er, das Marketing des zeitweise schnellstwachsenden B2B-Unternehmens Deutschlands aufzubauen.
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